Was die Steyrer Völkertafel
mit Typografie zu tun hat.
Zur Typografie
der Steyrischen Völkertafel
Wir müssen
Fraktur reden.
"Man habe unverblümt »Fraktur geredet«, berichtete Kanzler Kern nach dem insgesamt vier Stunden langen Beisammensein, es sei »wohl eher nicht« damit zu rechnen, dass Ungarn weitere Flüchtlinge aufnehmen werde." (Die Zeit, 29.09.2016)
Fördert die Völkertafel Fremdenhass?
Der Erklärbär sagt:
"Nein."
Was meinen Sie dazu?
Was wir über die Fraktur wissen sollten.
Kuriosität
Anfang des 18. Jahrhunderts begann man, den Nationalcharakter der europäischen Völker zu katalogisieren - wie in der berühmten und kuriosen Völkertafel aus Bad Aussee.
Wussten Sie, dass der Spanier „hochmüttig“ ist und an Verstopfung leidet, der Engerländer wohlgestaltet ist, aber leicht an Schwindsucht erkrankt, der Teutsche offenherzig, jedoch „truncksüchtig“ ist und zu Podagra (Gicht) neigt, hingegen der Ungar grausam ist und leicht in die Freisen (Krämpfe) fällt? Und der Muskawith (Russe) gar als „boßhafft“ und „unentlich krob“ gilt?
Ja, genau so wurden die zehn „fürnehmsten“ Völker Europas in 17 Eigenschaften auf der „Steirischen Völkertafel“, einem Ölgemälde im Bad Ausseer Kammerhofmuseum, von einem unbekannten Kunstmaler in Aussee charakterisiert und in ihrer zeitgenössischen Tracht dargestellt. Wie man es eben zu Beginn des 18. Jahrhunderts für wahr hielt – oder halten wollte.
Das Bild geht auf einen Stich zurück, der von dem Augsburger Kupferstecher Friedrich Leopold (gestorben 1726) angefertigt worden war. „Der Versuch, den Nationalcharakter dieser zehn europäischen Völker nach 17 Kategorien streng systematisch darzustellen, verrät den Geist der Aufklärung, aus dem auch die einflussreiche Einteilung von Pflanzen, Tieren und Mineralien durch Carl von Linné hervorgegangen ist“, berichtet F.K. Stanzel, emeritierter Anglistik-Professor an der Grazer Karl-Franzens-Universität und Hauptkurator der Sonderausstellung „Die Völkertafel und ihr Nachleben als europäische Kuriositätenschau.
Mit einem Anhang über die Steirer“ im Kammerhofmuseum Bad Aussee (noch bis 30. Oktober). Dieses Ölbild der Völkertafel eines Ausseer Malers unterscheidet sich nur in der vorangestellten Kostümleiste von seinem Vorbild, dem sogenannten Leopoldstich.
Offensichtlich stieß das Motiv schnell auf großes Interesse, was den Maler veranlasste, gleich mehrere Exemplare seines Bildes herzustellen. Neben den drei Tafeln in Museumsbesitz (Kammerhofmuseum Bad Aussee, Volkskundemuseum Wien und Heimatmuseum Moosham bei Mauterndorf) sind zumindest noch drei Bilder in Privatbesitz bekannt.
Dazu befinden sich in Deutschland noch mehrere Kopien von weniger begabten Malern. Das bedeutet, dass das Thema der verkürzten und stereotypen Völkercharakterisierungen damals sehr beliebt war - anscheinend vor allem in Gasthäusern, wo nämlich die meisten Völkertafeln zur Schau gestellt waren.
Das Neue dabei war der erstmalige Versuch einer streng systematischen Darstellung der vielfältigen Unterschiede zwischen den europäischen Völkern. Denn jetzt war die Zeit reif dafür, jetzt zu Beginn des 18. Jahrhunderts begannen sich die dargestellten Völker als eigenständige Nationalstaaten zu formieren. Aber die Eigenschaften waren zugespitzte und grobe Verallgemeinerungen, bei denen vor allem das Sensationelle und Außergewöhnliche betont wurde - also etwa so, wie auch heute noch die Medienwelt des Boulevards zu arbeiten pflegt.
Besonders auffällig ist, dass die Völkertafel in ihren Typisierungen ein starkes West-Ost-Gefälle aufweist, was die guten und schlechten Eigenschaften betrifft. So befindet sich der Spanier am positiven Ende und der Muskawith (Russe) sowie „Tirk oder Griech“ am negativen Ende. Türken und Griechen wurden damals in Mitteleuropa pauschal in einen Topf geworfen, da beide Teil des Osmanischen Reiches waren. Sie werden gemeinsam als „Ein Lung Teufel“, „Ein falscher Bolliticus“ und „Gar faul“ bezeichnet.
Woher stammen aber die hier aufgelisteten Vorurteile? Sie wurden natürlich nicht durch Umfragen von Meinungsforschern erhoben, sondern durch das Studium der alten und neuen ethnographischen Literatur wie Reisebeschreibungen oder Lexika gewonnen. Oder man übernahm einfach die Ausländerdarstellungen in zeitgenössischen Theaterstücken und Romanen. Also kein Wunder, wenn da ein Klischee nach dem anderen vorgeführt wird - und teilweise sogar stimmt.
Das Phänomen Nationalstolz hat Arthur Schopenhauer in seinen Parerga und
Paralipomena I, Aphorismen zur Lebensweisheit schon vor über 160 Jahren so analysiert:
Jede Nation spottet über die andere, und alle haben Recht. Dem Nationalcharakter wird, da er von der Menge redet, nie viel Gutes ehrlicherweise nachzurühmen sein.
Vielmehr erscheint nur die menschliche Beschränktheit, Verkehrtheit und Schlechtigkeit in jedem Lande in einer anderen Form und diese nennt man den Nationalcharakter.
Von einem derselben degoutiert loben wir den andern, bis es uns mit ihm eben so ergangen ist.
Jede Nation spottet über die andere, und alle haben Recht.
(P. I, 381 fg. M. 348 fg.)
Der lange Atem
der Geschichte
der Typografie
Übrigens: die Fraktur ist keine Nazi-Schrift
Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts wurden deutschsprachige Texte hauptsächlich in Fraktur gedruckt. In Frakturtexten wurde die Schwabacher bis ins 20. Jahrhundert gerne zur Schriftauszeichnung verwendet. Diese Form der Auszeichnung war derart gebräuchlich, dass selbst das Hervorheben in der Handschrift (etwa durch Unterstreichen) mit dem Verb „schwabachern“ belegt wurde.[2]
Schwabacher "Judenletter"
In Schwabach gab es gar keine Schriftgießerei.
1941 verboten die Nationalsozialisten die Verwendung gebrochener Schriften durch Behörden und im Schulunterricht. Die Schwabacher Schrift und andere in Deutschland häufig verwandte gebrochene Schriften wurden im Normalschrifterlass als „Schwabacher Judenlettern“ bezeichnet. Aus der Entwicklungsgeschichte der Schwabacher Schrift lässt sich diese Bezeichnung nicht erklären; vielmehr dürfte auf dem Höhepunkt des nationalsozialistischen Eroberungskrieges die internationale Verwendbarkeit der nunmehr angeordneten Antiqua eines der Motive dieser Entscheidung gewesen sein.[3] In der Stadt Schwabach selbst rief diese Bezeichnung Unverständnis hervor.